Karlie Apriori
Liebe einmal zu viel, als einmal zu wenig - Wertschätzung in Beziehungen
Die Menschen die wir lieben sind die wichtigsten in unserem Leben. Sie geben
uns Halt, haben unser Vertrauen, sind die Hüter unserer Geheimnisse und das
Nachschlagewerk unserer Geschichten. Sie sind immer für uns da und kennen
uns in- und auswendig. Oft brauchen wir nicht einmal Worte, um uns mit ihnen zu
verständigen. Es sind unsere Eltern, Geschwister oder Verwandte. Und es sind
Fremde, die über die Zeit zu Freunden oder sogar unserem Partner wurden.
Was unsere Beziehung zu diesen Menschen so speziell macht, ist das
mächtigste Gefühl der Welt – die Liebe. Es lässt uns eine Verbindung zu ihnen
aufbauen, die wir zu anderen nicht haben. Wir öffnen uns, möchten mit ihnen Zeit
verbringen, uns austauschen und können uns letztendlich bei ihnen komplett
fallen lassen. Dieses Gefühl, die Liebe, hat viele angenehme Seiten und bringt
Wohlwollen mit sich. Deswegen tut sie so gut. Denn der Mensch braucht
Anerkennung und Wertschätzung - irgendjemand, der es gut mit ihm meint und
ihm in seinem Sein bestätigt.
Doch je länger die Beziehung anhält, je selbstverständlicher es ist, dass der
andere Mensch in seinem Leben und an seiner Seite ist, desto mehr vergessen
wir ihm diese Wertschätzung zu geben. Und das, obwohl sie doch die
Kronjuwelen in unserem Tower of Life sind.
Die Liebe hat viele Sprachen und ein „Pass gut auf dich auf“, ein spontaner Wiegeht’s-
dir-Anruf, eine Urlaubskarte oder eine innige Umarmung sind Ausdruck
unserer Zuneigung. Doch genauso sehr sind sie fast schon Floskeln, weil man sie
innerhalb der Beziehung schon so oft gebraucht hat. Lange Beziehungen, auch
zu Freunden und den eigenen Eltern, brauchen die Offenbarung der großen
Gefühle genauso sehr wie frisch Verliebte. Und dann ist nichts deutlicher, als ein
konkreter Satz der Dankbarkeit. „Du bist ein ganz besonderer Mensch für mich.“
„Du bist eine echte Bereicherung in meinem Leben.“ „Ich bewundere deine
Art.“.... Was es auch sein mag, was man an dem anderen schätzt. Es hin und
wieder mal zu formulieren und auszusprechen tut dem Gegenüber und der
Verbindung gut.
Doch, was ist, wenn diese Liebe und diese Beziehung, die man so wertgeschätzt
hat, fast unbemerkt in eine alltägliche Situation übergegangen ist und man nicht
mehr nur vergessen hat, seine Wertschätzung kund zu tun, sondern sie auch gar
nicht mehr empfindet. Auf einmal kotzt einem eine Menge an der Person an. Und
dann passiert es, dass wir die Nähe, die uns die Liebe mal verschafft hat, nutzen,
um schamlos aneinander herum zu kritisieren und uns im Zweifel auf Schlimmste
zu beleidigen. Wir investieren mehr Energie in Streits als in die Unterhaltungen,
die wir immer so geliebt haben. Das ist Gift für jede Beziehung und wer da noch
irgendwas retten will, braucht einen neuen alten Fokus.
Es ist natürlich nicht einfach über all die Dinge, die einen nerven hinweg zu
sehen. Es ist aber nicht so schwer, sich die Momente, Taten oder Wesenszüge
wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, für die man immer dankbar war. Wenn der
Fokus wieder darauf zurückf.llt, kreiert das zumindest einen neutraleren Boden,
um respektvoll miteinander zu sprechen. Vielleicht stellt sich dann auch heraus,
dass sich eigentlich nichts in der Beziehung verändert hat. Dass man nur frustriert
ist, weil zum Beispiel das Stresslevel höher ist als sonst oder die Wertschätzung
am Arbeitsplatz fehlt. Nicht selten lässt man diese Frustration an seinen Liebsten
aus. Obwohl, und da wiederhole ich mich gerne, sie doch unsere Kronjuwelen
sind, müssen sie im Zweifel auch am Härtesten einstecken.
Liebe kommt nicht ohne Wertschätzung aus, aber Wertschätzung kommt ohne
Liebe aus. Denn im Grunde geht es neben der Bewunderung in erster Linie um
Achtung und Respekt. Und mit dieser Haltung sollten wir ja eigentlich jedem
Menschen begegnen. Das ist allerdings sehr viel leichter gesagt als getan.
Innerhalb von Sekunden bewerten wir Menschen aufgrund unserer Erfahrungen
und wenn uns etwas aufstößt, dann werden wir abwertend oder sogar abfällig.
Dabei hat kein Mensch auf dieser Welt einen genauen Wert, nicht einmal Models,
die ihre Beine versichert haben. Nichts desto trotz scheint es Wert-Modelle zu
geben, auf die wir uns geeinigt haben. Sie werden an Haarfarben gemessen oder
an der Figur. Wir müssen uns ein für alle Mal davon verabschieden, dass unser
menschlicher Wert irgendetwas mit unserem Gewicht, unserem Kontostand,
unserer Nationalität oder unserem Geschlecht zu tun hat.
Liebt eure Lieben lieber einmal zuviel, als einmal zu wenig. Eure Mutter, eure
Freunde, euren Partner. Lasst uns versuchen mit weniger Vorurteilen und
Wertschablonen durch den Tag zu gehen. Ich glaube, dass die Welt ein besserer
Ort ist, wenn jeder so sein kann, wie er ist und dafür respektiert wird.